Endlich hatte das Warten ein Ende, endlich war Nouruz! Am besten in Erinnerung ist mir das viele Essen, das überall herumstand. Eine Mahlzeit nach der anderen wurde aufgefahren und dazwischen gab es Tee und Süßigkeiten. In der Küche standen immer schon die nächsten Menüs bereit oder noch auf dem Herd, das konnte ich durch die Tür sehen, die ständig auf und zu ging. Ich selber stand in meiner Glasschale auf einem Tisch – auch umringt von Essen und Dekoration, woran sich aber niemand bediente… Das kam mir komisch vor, aber ein alter, angereister Großonkel der Familie erklärte es mir bzw. seiner Großnichte, die mich gerade versuchte, zu streicheln.
Die Haft Sin
„Das sind die Haft Sin! Sieben Dinge, die mit S beginnen. Hier auf dem Tisch haben wir zum Beispiel die Sabsi: Kräuter und Sprossen, die für das neu aufkeimende Leben stehen. Dort ist Sir: Knoblauch, den wir mit medizinischem Schutz und Heilung verbinden. Serkeh, der Essig, repräsentiert Fröhlichkeit und Geduld. Somagh ist ein Gewürz, das wir mit dem Geschmack des Lebens assoziieren. Die Hyazinthen, Sonbol, sind ein Zeichen für Freundschaft und natürlich die Natur. Und was ist das hier?”
„Sib, ein Apfel!”, rief das Mädchen.
„Richtig! Der steht für Schönheit und Gesundheit. Und wofür stehen wohl die Sekeh, die Münzen?”
„Reich sein und Geld haben, das ist ja leicht”, stellte das Mädchen fest. „Aber hier sind auch noch ein Spiegel und Eier und eine Kerze und mein Goldfisch, die fangen alle nicht mit S an. Und meine Freundin hat gesagt, ein Koran muss hier auch stehen.”
„Stimmt, die fangen nicht mit S an. Aber Symbole sind es trotzdem. Der Spiegel für Reinheit und Ehrlichkeit, die Eier für Fruchtbarkeit, die Kerze für das Feuer und der Fisch im Wasser für Fröhlichkeit, Bewegung und Leben. Ein Koran liegt tatsächlich bei den meisten Familien auf dem Haft-Sin-Tisch, aber deine Eltern mögen wohl lieber schöne Gedichte. Hier ist ein Buch vom Dichter Hafis.”
„Ich mag Gedichte. Liest du mir daraus vor?”
„Später vielleicht, meine Kleine. Wir wollen dem Goldfisch seine Lektüre nicht wegnehmen. Komm, nimm dir heimlich etwas Süßes vom Shirini-Teller, deine Mama schaut gerade nicht hin”, flüsterte er verschwörerisch, „und dann gehen wir in den Innenhof, da wird gleich Musik gemacht.”
„Au ja! Tschüss, Hafis!”, winkte sie noch und zog den Großonkel hinter sich her.
Hafis. Ein schöner Name, fand ich, und ich glaube, das Mädchen meinte mich. Da schwamm ich gleich noch ein bisschen fröhlicher herum und machte meiner Symbolik alle Ehre.
Text: Dina-Salome Fleschen
(Hast du eigentlich schon Teil 1 über die Nouruz-Vorbereitungen und Teil 2 über das Mittwochsfeuer gelesen?)
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